Am Lebensende tauchen bei Menschen mit unterschiedlichem gesundheitlichem Hintergrund oftmals Fragen nach der Sinnhaftigkeit und der Lebensqualität auf.
Als unterstützender Ansatz bei solchen Fragen kann die Dignity Therapy, auch würdenzentrierte Therapie genannt, dienen. Sie findet bei uns vor allem im palliativen Setting bereits Anwendung.
Die würdenzentrierte Therapie wurde von dem kanadischen Psychiater Dr. Harvey Chochinov ins Leben gerufen, nachdem er bei seinen Forschungen zu diesen Fragen die Erkenntnis gewonnen hatte, dass Menschen mit einem herabgesetzten Würdegefühl signifikant depressiver und ängstlicher waren und oftmals einen vorzeitigen Sterbewunsch hegten. Dr. Chochinov hat daraufhin mit seinem Team einen Therapieansatz entwickelt, bei dem schwerstkranke Menschen ihre Lebensgeschichte geschultem Personal (Dignity Therapeuten) erzählen konnten.
Bei der Dignity Therapy leitet der Therapeut Betroffene an, über ihre Werte, Lebenserfahrungen, Erinnerungen und Hoffnungen zu sprechen. Zudem wird der Raum gegeben, Dinge auszusprechen, die unbedingt noch gesagt werden wollen. Der Fokus des Fragenden wird dabei auf würdebewahrende Perspektiven gesetzt wie zum Beispiel Autonomie, Hoffnung, Resilienz, Akzeptanz, Selbstkontinuität, Vermächtnis etc.
Fragen können sein: «Was sind die wichtigsten Aufgabenbereiche, die sie in ihrem Leben übernommen haben?» oder «Was haben sie über das Leben gelernt, das sie gerne weitergeben möchten?»
Studien, u.a. von Dr. Chochinov 2011, belegen, dass sich das Wohlbefinden von Betroffenen nach der Dignity Therapy deutlich verbessert hat und sich Gefühle wie Depression und Traurigkeit verringert haben. Häufig können Betroffene Dankbarkeit und Verzeihung aussprechen, Ressourcen erkennen und ihr Vermächtnis für die Zukunft bereitlegen. Auch Angehörige fühlen sich in der Integration des Erlebten besser unterstützt und in der Trauerverarbeitung begleitet. Enkelkinder können in der Beziehung zu den Vorfahren gefestigt werden und erhalten transgenerationelle Wertvorstellungen.
Weitere Nutzen, die durch die Studie von Goddard et al., 2013 deutlich aufgezeigt werden, sind ein verbesserter Beziehungsaufbau zwischen Pflegenden und Betroffenen und somit eine höhere Pflegequalität.
Die Rückmeldungen nach der Dignity Therapy bestätigen die positiven Studienerkenntnisse. «Ich fühlte mich nach dem Gespräch wieder lebendiger, wieder mehr ich selbst. Wahrscheinlich hat es gut getan zu erzählen und zu merken, dass ich ein sehr erfülltes Leben hatte.», sagt S.M., eine Betroffene, die die Dignity Therapy in Anspruch genommen hat.
Schweizweit gibt es bereits etliche Dignity Therapeuten. Diese arbeiten im Rahmen von Institutionen, der Seelsorge, der Sterbe- und Trauerbegleitung, als Coaches, Therapeuten oder auch als Private.
Die Dignity Therapie benötigt einen geringen zeitlichen Aufwand. Es finden drei Treffen statt, gerne auch in Begleitung eines Angehörigen. Nach einem Vorgespräch kommt es bei einem zweiten Treffen zum eigentlichen Interview, welches meist eine Stunde dauert. Danach wird das Interview vom Dignity Therapeuten transkribiert und editiert. Das erstellte Dokument wird beim dritten Treffen mit dem Betroffenen und seinem Angehörigen besprochen. Die Anwendung des Dokuments lässt sich äusserst individuell gestalten. Es kann beispielsweise mit Bildern ergänzt, vom Betroffenen vorgelesen und als Audio-Datei aufgenommen werden oder als Abschiedsritual dienen.
Bei Interesse oder Fragen können weiterführende Informationen unter www.dignitytherapy.ch gefunden werden. Auch bei der Suche nach einem Anbieter von Dignity Therapy werden Sie auf dieser Website fündig.
Quellen:
Handout Dignity Therapy – würdenzentrierte Therapie, ein wertvoller Ansatz in der Palliative Care, 24.04.25, Peter Muijres
Chochinov et al., 2011: Effect of dignity therapy on distress and end-of-life experience in terminally ill patients: a randomised controlled trial
Goddard et al., 2013: Exploring the impact of dignity therapy on distressed patients with advanced cancer: three case studies